Regenwald - mehr als - Fifty shades of green
Der Regenwald – oft scheint er für uns Europäer so weit entfernt! Und doch ist er uns viel näher als wir denken. Jeden Tag verwenden wir irgendwelche Dinge, deren Bestandteile aus dem Regenwald stammen. Ob diese Produkte nun aus Kautschuk sind oder Hölzern für Designmöbel, die wir gerne auf unseren Terrassen präsentieren oder in Form von Chips in unseren Handys daherkommen, produziert aus Coltan: Der Regenwald scheint allgegenwärtig. Wir brauchen ihn, wir lieben ihn… und zerstören ihn dennoch unbedacht und unaufhaltsam.
Peru / Iquitos
Während in Lima der Winter beginnt, empfängt uns 2 Flugstunden weiter Iquitos mit drückender Schwüle. Jetzt, im Juni ist hier gerade die Regenzeit vorbei. Die quirlige Metropole, mit ihren rund 800'000 Einwohnern und 25'000 TucTucs, ist nur per Schiff oder Flugzeug erreichbar erlangte Dank des Films Fitzcarraldo Bekanntheit. Von hier aus startet die Expedition in den Amazonas-Regenwald im Nordosten von Peru, im Grenzgebiet zu Ecuador, Kolumbien und Brasilien gelegen. Per Schiff geht es zum 180 Kilometer südwestlich gelegenen Ort Nauta mit dem Ziel Pacaya Samiria. Das Reservat erstreckt sich auf einer Fläche von insgesamt 2.8 Mio ha und ist damit eines der grössten Naturreservate Perus. Begrenzt wird es von zwei grossen Flüssen, dem Marañon im Norden und dem Ucayali im Süden.
Schrille Laute dringen am Morgen an unsere Ohren – der Urwald ist laut! Sind das Vögel, Affen, Frösche? Urwald-Guide Adonay kennt die Unterschiede genau. Er weiss, dass sich eine Tour zeitig morgens lohnt, wenn der Rainforest erwacht. Skiffs – motorisierte Beiboote unseres umweltfreundlich gestalteten Schiffs Delfin – bringen uns sicher an die Ränder des Ufers und gewähren Einblicke in den teils noch gefluteten Wald und ins Unterholz der Mangroven, wo zahlreiche Fledermäuse nisten. "Unsere Freunde", meint unser Führer, "denn sie fressen die Mücken". Auf den Seitenarmen des Ucayali dringen wir in immer tiefer gelegene Zonen vor. Adonay erspäht für uns allerlei Tiere: Hier ein Waldstorch, dort ein Black Hog und da (wo?)…ja genau da, ein Leguan! Dem "nicht geschulten Auge" erschliesst sich der Regenwald nur langsam. Manchmal scheinen die zig Variationen des Grün der Flora die Besonderheiten der Fauna nahezu zu verschlingen. Immer wieder begegnen wir Fischern, oft in Einbäumen und Booten mit Einheimischen, die Waren wie Früchte, Gemüse, Fisch oder erlegte Tiere zu nächstgrösseren Orten transportieren.
Gelegentlich ziehen kleine Siedlungen vorüber, meist direkt am Uferrand gelegen oder sie spitzen hinter grünem Buschwerk hervor. Die Zivilisation macht hier nicht Halt. Um zu wirklich abgeschiedenen, unberührten Dörfern zu gelangen, würde es Tage bis Wochen dauern. Manchmal wäre es unmöglich und das ist wohl auch gut so!
Nachmittags bringt uns Adonay zu Monkey Island. In freier Wildnis leben hier verschiedene Affenarten harmonisch miteinander. Für die mitgebrachten Bananen schwingen sie sich gerne von den Baumkronen herab und stehen für ein Fotoshooting bereit.
Weniger bestechlich sind andere Urwald-Einwohner, die es auf einer Wanderung durch den Dschungel zu entdecken gibt. Die feuchte Schwüle, die hier steht, scheint einen bereits nach zwei Minuten zu erdrücken, das T-Shirt klebt am Leib, die Gummistiefel stauen die Hitze noch mehr, und schnell wird klar, woher der Ausdruck "grüne Hölle" kommt. Und dennoch strahlt der hochstrebende Wald in seinen facettenreichen Grüntönen eine atemberaubende, fast magische Schönheit aus!
Während unser Guide keinen Schritt von unserer Seite weicht, strömt Pedro – ein Dorfangehöriger- aus und bringt uns seine Funde: eine beachtliche Vogelspinne, einen winzigen Waldleguan oder aber einen Daumennagel grossen feuerroten Pfeilgift-Frosch, aus dessen Sekret das lähmende, Curare artige Gift gewonnen wird, das jedoch auch in der Medizin Verwendung findet. Vorbei an riesigen Termiten-Bauten dringen wir tiefer ins Dickicht. Und plötzlich sehen wir ‚ihn‘: einen Riesen-Ficus Baum von unbeschreiblicher Grösse. Seine gigantischen Wurzeln strahlen auf einer immensen Fläche aus um Halt zu finden in der dünnen, kargen Bodenschicht. Viele Kleinstwesen sind dankbar dafür, denn sie finden hier ihren Unterschlupf. Die reiche biologische Vielfalt mit ihrer Mikro- und Makrofauna spielt eine wichtige Rolle bei der Umwandlung organischen Materials. Sie zerkleinern die Pflanzen und unterstützen den Zersetzungsvorgang der im Boden lebenden Mikroflora.
Noch einmal bringt uns Pedro einen Fund. Stolz, aber sichtlich angespannt, präsentiert er uns eine Grüne Anakonda. Ihre Haut fühlt sich grossartig an! Die Schlange erhält wieder ihre Freiheit und der Dschungelführer ist froh, dass er uns endlich sein Dorf zeigen darf. Manche Holzschale oder geschnitzte Figur des Stammes findet einen neuen Besitzer.
Der nächste Tag bringt uns schliesslich an den Zusammenfluss des Ucayali und des Marañon: hier ist die Wiege des Amazonas. Und natürlich wird mit einem Glas Camu-Camu-Saft, verfeinert mit dem Nationalschnaps Pisco, auf den Magic-Moment angestossen.
An Bord dürfen wir mehr über Pflanzen und die Früchte des Urwalds lernen und gekocht wird sowieso mit all den Gaben des Regenwaldes. Palmherzensalat mit Fischcarpaccio, Cherimoiasorbet, Shibe: fermentierte und geröstete Yucca, gebackene Kochbananen mit Huhn und Algen – die Küchen-Crew zaubert schmackhafte Kreationen. Show-Cooking inklusive.
Noch einmal besuchen wir am Marañon ein Einheimischen-Dorf. Gefördert mir Geldern der Regierung darf es besichtigt werden – ein irgendwie seltsames Gefühl, doch die Bewohner scheinen nicht unglücklich mit dieser Situation. Es gibt einen Sendemasten und Handyempfang. Dass für den kleinen Chip des Mobilgeräts irgendwo auf der Welt Regenwald abholzt wurde, ist den Menschen hier sicher nicht bekannt.
Mit unserem Skiff fahren wir in die Abendstimmung und halten nach Süsswasserdelfinen Ausschau. Graue und Rosa Delfine tummeln sich gerne an Flussmündungen oder in Lagunen-Nähe und scheuen auch Boote nicht. Mehr als für Sekundenbruchteile bekommt man sie bei ihren Sprüngen an die Wasseroberfläche nicht zu sehen. So fasziniert die Stimmung am Himmel mit den satten, Regen schwangeren Wolken, durch die immer wieder die Abendsonne bricht, fast noch mehr. Irgendwo in der Ferne sieht man fast immer einen Schauer niedergehen und doppelte Regenbögen bilden sich in all ihrer Leuchtkraft. Glutrot verabschiedet sich der Abend, wie in einer Theaterinszenierung.
In der derzeitigen Regenwald-Ausstellung im Lokschuppen Rosenheim will man den Regenwald ganzheitlich ins Bewusstsein der Besucher rücken und so "ein Stück davon in ihre Köpfe pflanzen".
Wer einmal dort war, trägt ihn in seinem Herzen!
Ideale Reisezeit für das peruanischen Amazonas-Regenwaldgebiet: ab Mitte Juni bis
Oktober
Amazonas Flusskreuzfahrten sind ganz neu jetzt auch über DERTOUR zu buchen oder direkt über:
Text + Bilder: Adelheid Wanninger
Adelheid Wanninger
Adelheid Wanninger schreibt und fotografiert als freie Journalistin seit
über 23 Jahren für unterschiedlichste Medien wie das Porsche Club Magazin, Journal München, Savoir Vivre, Münchener Merkur, Welt, spiegel-online, Fine Tobacco, den Deutschen Camping Club u.v.a.
Mit ihren Schwerpunkten Reise, Hotellerie, Wellness und Kulinarik wird sie aber auch häufig für Fremdenverkehrsmagazine angefragt. Weltweit agierend gilt die Liebe der sportlichen Rosenheimerin
aber doch dem alpinen Raum, dem sie als Hommage ihr Buch "Die ganze Kraft der Alpen" widmete.